Scrying at the discotheque

Bin wieder da! Von einem sonnigen, fröhlichen Urlaub auf einer mir zuvor unbekannten Insel. Die viel mehr zu bieten hat als die Touristenorte an der Küste – und darum würde ich auch wieder nach Kreta fahren, wenn ich Gelegenheit hätte.

Aber diese Touri-Burgen… einfach lustig! Es ist ja nun bald 30 Jahre her, dass ich zuletzt einen klassischen Pauschal-Urlaub verbrachte – als kleines Planschkind „auf Malle“ mit meinen Eltern. Und jetzt hatte ich ein totales Déjà-vu in Platanias auf Kreta: Es hat sich anscheinend nichts geändert. Der ganze Ort war von Skandis ausgebucht – und die Angebote entsprechend auf nordländische Touristen zugeschnitten. Schwedisch-sprachige Kellner, eine echte Kaffee-Stuga und der norwegische Fussball-Cup auf Großbildschirm. Wer den Film „Sällskapsresan“ aus den 80er Jahren gesehen hat, wird bestätigt: er ist noch immer hoch-aktuell. Ich sag nur: „Finns det svensk kaffe i hotellet?“ Etwas drastisch gesagt, ist das Reise-Imperialismus auf einer Insel, die es eigentlich gar nicht nötig hat, sich so den moderden Invasoren anzupassen…

Ich beobachte ja gern Leute. Das ist angeboren und gehört wohl auch zu meinem Beruf. Und auch deshalb war dieser Urlaub ganz und gar kurzweilig, so dass ich meine zwei Bücher und den I-pod im Ohr gar nicht brauchte. Eines Abends, nachdem wir uns von unseren griechischen Internet-Freunden verabschiedet hatten, landeten wir dann doch in einem dieser „Party-places“ – erst Karaoke und später Night-Club mit wummernder Disco und haste nicht gesehen. Die ersten auf der Tanzfläche waren die Damen vom Skatteverket – so nenne ich sie mal – 3 Schwedinnen mittleren Alters, die sich hier einmal ganz nach ihrer Facon ausleben konnten. Fernab von Alltag und Verpflichtung, anonym und vermutlich auch (wieder) Single, ging bei ihnen die Post ab.  „Express yourself“ im besten Wortsinne – und dabei war es ihnen schiet-egal, dass ihre Frisuren voll daneben waren oder die Bauchröllchen aus dem engen Top quollen. In „Utopia“ – dem Ander-Ort – wurden die Damen vom Skatteverket zu vollwuchtige Stimmungskanonen, die offensichtlich etwas nachzuholen hatten… Leicht erheitert schafften sie es dann auch, viele andere aufs Parkett zu bringen.

In Utopia geht alles, sogar tanzen...

Wer nicht aufs Parkett ging, waren die 3 Grazien – so nenne ich sie mal – kühlblonde Schönheiten, wohl ebenfalls aus Schweden, in der Blüte ihrer Jugend. Nichts konnte sie an diesem Abend zum Tanzen bringen, obwohl sich das gesamte männliche Publikum wohl nichts sehnlicher gewünscht hätte. 3 blonde Engel in weißen kurzen Kleidern (das Standard-Ausgeh-Kostüm der skandinavischen Jugend) – ein Traum, der sich selbst in Utopia nicht erfüllen sollte. Stattdessen stahlen die 3 Damen vom Skatteverket den Grazien die Schau. Zumindest auf der Tanzfläche. Ironie…

Es war irgendwie so…. bedauerlich: Die hübschen 20-Jährigen waren zum Tanzen viel zu cool – also in diesem Fall zu schüchtern – saßen auf ihrem Barhockern mit hängenden Schultern, nippten an der Bacardi-Brause und rauchten eine Marlboro-Mint nach der anderen. Versuchten mit dem Barkeeper zu flirten, doch der hatte recht viel zu tun. Ich sinnierte so nach – während ich zwischen Tanzfläche und Barhockern hin und herblickte – und sah die 3 Grazien in 25 Jahren. Zu 3 Skatteverks-Mitarbeiterinnen mutiert – nicht mehr ganz frisch, aber noch immer voller Lebenslust. Eine Lebenslust, die man im schwedischen Alltag als Frau von 40+ schlecht ausleben kann. Tief frustiert nach einigen Rückschlägen im Leben und… weil sie in ihrer Jugend zu wenig getanzt haben. Gleichzeitig aber reifer und gelassener, endlich ein wenig freier und vor allem: nicht mehr so dumm und schüchtern wie damals.

Es scheint mir oft so, dass Tanzen für die Leute aus dem Norden etwas Peinliches ist. Das machen nur Betrunkene oder Urlauberinnen, die es nötig haben – eben solche Wuchtbrummen wie im „Utopia“. Dabei ist Tanzen, wie ich finde, die beste Ausdrucksform, der beste Blitzableiter – und es gäbe weniger Frust im Leben, wenn es öfter praktiziert würde. Denn wenn nur alle mitmachen würden, wären selbst Alter, Outfit und Hüft-Elastizität egal. Denn dann gäbe es keinen schehlen Blicke von außen, sondern nur gemeinsame Bewegung, Schwingung und Stimmung.

Genau deshalb gingen wir zwei „Beobachter“ schließlich auch hin zur Tanzfläche – und in der groovenden Masse auf. Ein seltener, aber großartiger Genuss. Wo die 3 Grazien blieben, habe ich dann auch nicht weiter verfolgt…

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